INFORMATIONEN ÜBER DEN HEUTIGEN AUFENTHALT IN DER DEUTSCHEN BAHN, 11:10 UNGEFÄHR.

Er sei ja 38 und da habe man auch das Recht, so zu leben, wie man wolle, und wenn es schon jobtechnisch nicht so geklappt habe, nachdem er von Duisburg nach Berlin gezogen sei, so solle man ihm doch wenigstens zugestehen, so zu wohnen, dass er sich wohlfühle und er habe vorhin angerufen, schön übrigens, dass Sie zurückrufen, weil, es ginge um Folgendes, er wolle den Mietvertrag, der auf beide Mieter laufe, auflösen, weil er aus dieser WG rauswolle. Wieso auch in einem 12qm²-Zimmer in Friedrichshain für 348 Euro wohnen, wenn er in Charlottenburg für dasselbe Geld, aber 24qm² mehr, eine Wohnung für sich alleine haben könne und nicht mehr mit DIESER PERSON leben müsse? Er habe ja schließlich das RECHT, in einer Wohnung zu wohnen, die er sich aussuchen könne, und dieses Recht werde er auch nutzen, ganz zu schweigen, dass er überhaupt nicht einsehe, wieso er in der Wohnungskündigung irgendwelche Rechtfertigungen angeben solle, wenn es doch seine freie Entscheidung sei, wann er wo wohne. Vor allem, wenn er die drei Monate Kündigungsfrist lang noch für den Ausgleich der Monatsmiete sorge, egal, ob er dafür einen Nachmieter finden müsse oder es aus eigener Tasche bezahle, und außerdem habe er ja schon bei der ersten Kontaktaufnahme zur Genüge vermittelt, dass ein Zusammenleben mit DIESER PERSON einfach nicht weiterhin möglich sei, was solle er den sonst schreiben, nähere Gründe und Umstände würde den Vermieter ja wohl nicht zu interessieren haben. Am liebsten wäre es ihm natürlich, er könne sofort ausziehen, was er vermutlich auch tun werde, denn länger halte er es nicht aus, und wenn sich das Problem auftäte, dass das Zimmer vorerst leer bliebe, ist es ja nun mal sein Problem, sich freizukaufen, das wolle er auch, zumindest da könne ihm keiner was vormachen. Denn das sei es ihm wert, in der WG sei man sich ja einig, dass man sich nicht leiden könne, weder könne er DIE PERSON leiden, noch könne DIE PERSON ihn leiden, man müsse ja auch, wenn man im Job fit sein möchte, nicht verschlafen oder gestresst aussehen und gerade jetzt, wo er sich wieder auf dem Jobmarkt aufhalten müsse, wolle er einen Wohlfühlort haben und mehr wolle er dazu auch gar nicht sagen, da seien ihm auch die elf Euro egal, die er dann drei Monate länger bezahle, weil, mein Gott, er sei ja 38 und um seine finanzielle Situation stehe es nicht so schlecht, dass er sich diese elf Euro nicht leisten könne, die seien es ihm schon wert und damit habe sich die Sache gegessen und man könnte ja gar nichts dagegen einwerfen. Er beharre einfach auf seinem Recht als deutscher Staatsbürger, er habe sich ja eingelesen, kenne die rechtlichen Grundlagen und wisse auch, was er machen kann, und was nicht, und damit sei die Sache nun erledigt, sagt einer, während ich soeben die schönste Zugfahrt meines Lebens erlebe, in der ich im Wagen 21 einen Sitzplatz mit Tisch erhalte, zwei Kindern gegenüber sitze und die unfassbar freundliche Frau von der Bahn uns nicht nur Gummibärchen schenkt und uns die Wahl lässt zwischen der kostenfreien Berliner Zeitung und Der (kostenfreien) Welt, sondern noch dazu einen AUßERORDENTLICH schönen Tag und eine gute Weiterreise wünscht. Um uns allen zu beweisen, dass er im Recht sei sowie extrem unter dieser Situation zu leiden habe, aber eigentlich ein ganz netter Kerl ist, der gut klar kommt mit so etwas, bietet er einem jungen Typ zum Beweis ein Brillenputztuch an, um die Oberfläche zu reinigen, weil das funktioniere mit dem Ärmel nicht so gut, das wisse man ja. 

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stefan mesch

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