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Balkan-Diary 1: On Balkan is always war (Pressegger See, Bovec, Ljubljana, Otocec)

Auf dieser Art zu reisen, mit dem Auto unterm Arsch aber ohne die Sicherheit irgendwelcher Ziele oder gar Buchungen, heißt immer, sich mit möglichst großer Konsequenz dem Zufall auszuliefern. In welches Tal steuern wir den Kangoo, Weißensee oder Pressegger See? Wir haben von weder noch eine Vorstellung. Wo schlagen wir das Zelt auf, Trenta, Soca oder Bovec?

Und sollte man nicht da, in Most na Soci, mal rausfahren, einfach weil das Wasser der aufgestauten Soca hier so surreal Eisbonbon-blau aussieht…?

Der Zufall ist der Freund des Reisenden. Vielleicht der einzige. Der Reisende ist oft allein, er ist fremd, Eindringling, Analphabet, Finanzspritze und Last. Der Zufall ist blind, er sieht nicht, woher du kommst.

Irgendwo, ich glaube im Reiseführer, steht, die Slowenen denken westeuropäisch und fühlen Balkan. Neva, die immer in Ljbuljana City Center gelebt hat, sagt, ich soll auf jeden Fall nach Serbien und Bosnien fahren, weil dort wirklich der Balkan ist, dieser Balkan, und hier doch mehr noch Österreich und Sauerkraut.

Neva und Hannah haben sich in Sri Lanka kennengelernt, Zufall. Und jetzt sitzen wir in einer Art Biergarten vor einem Jugenzentrum-mäßigen Club, in dem eine Band vor sich hin jammt, deren Sänger einen langen schwarzen Mantel trägt. Hört sich bisschen ungeordnet an, findet H. Wir trinken Nefiltrano, ungefilterters, quite normal beer, findet Neva.

Neva ist Anwältin, fünfzig Stunden Woche. Und weil der Job so mies bezahlt ist und der Chef vielleicht ein schlechtes Gewissen hat, fliegt die ganze Belegschaft morgen früh nach Istanbul, um da drei Tage Party zu machen. Früh um sechs gibt’s den ersten Schampus. Sie muss High Heels mitnehmen und das passt ihr nicht.

Es ist bald dreißig Jahre her, dass Nevas Vater hier in diesem Land, das so etwas wie das Baden-Württemberg Osteuropas ist, im Krieg war. Zehn Tage lang musste Slowenien um seine Unabhängigkeit von Jugoslawien kämpfen, Nevas Papa trug zwar eine Waffe, aber schießen musste er nicht. Rund hundert Menschen sind gestorben, sagt Neva, weil ein Hubschrauber über Ljubljana abstürzte.

Aber trotzdem: Ihr Vater reist heute nicht in diese Länder, Serbien, Bosnien, Montenegro, weil er nicht weiß, was der, dem er gegenübersteht, vor dreißig Jahren möglicherweise getan hat.

On Balkan there is always war, sagt Neva. Die Slowenen hassen die Kroaten, die Serben die Bosniaken. Aber nur daheim, der Hass gehört auf die Halbinsel: Wenn sie sich im Ausland träfen, seien alle Südosteuropäer dann doch auf einmal Brüder. Im Vorfeld der Reise habe ich natürlich versucht, mich ein wenig zu informieren, was da passiert ist. Es geht nicht. Es ist zu viel und mit jeder Information, darüber, wer wem wann und warum auf den Schädel gehauen hat, verliert man eine andere aus dem Gedächtnis.

Aber einmal, denke ich, und das stimmt doch, da gab es zumindest mal fast vierzig Jahre lang Frieden: Solange Jospip Broz Tito an der Macht war im geeinigten Jugoslawien. Also frage ich, ein bisschen vorsichtig, weil man ja nicht so richtig weiß: Do people sometimes miss it? Nein, sagt Neva, obwohl das natürlich richtig sei und nein, ein Stalin sei der Tito sicher nicht gewesen, aber ein Diktator halt schon und wer eine oppositionelle Meinung hatte, konnte immerhin im Gefängnis landen.

Und weil man dann schon mal dabei ist, verpasst man die Band mit dem Manteltyp und bestellt noch so ein Union oder Lasko. Und weil man dann schon mal dabei ist, versuche ich noch Neva zu erklären, was da bei uns bei der letzten Wahl passiert ist. Und dann schauen wir alle drei auf das bisschen Europa und wie das gerade aussieht, nach allem, was in den letzten drei, vier Jahren passiert ist. Die stärkste Oppositionspartei in dem Land, aus dem wir kommen, ist rechtsradikal. Das muss ich zugeben.

Und hier? Ein paar hundert Flüchtlinge seien geblieben, sagt Neva, die wollten ja alle nach Deutschland. Und trotzdem lassen die Menschen sich eine Angst einreden und wählen die, na ja, man könne es nicht anders sagen, Nazis. Vor der vergangen Parlamentswahl habe ihr Bruder ihr eröffnet, die katholischen Liberalen zu wählen. Und Neva habe gefragt: Was, wenn deine Freundin schwanger wird und ihr könnt euch kein Kind leisten, aber wegen deiner Partei ist Abtreibung illegal. Ich habe Geld, habe er gesagt, dann fahren wir nach Österreich.

Money rules, sagt Neva. Vielleicht war das damals anders, in Jugoslawien. Dafür waren die Supermarktregale immer wieder mal leer. Wir wissen auch nicht weiter und waren vielleicht noch nie so pessimistisch wie jetzt. Und wir schauen auf das, was bei den nächsten Wahlen vermutlich noch passieren wird. Und ich sage. We’re fucked. Und Neva sagt: For sure.

Hätten wir diese oder jede Reise vor fünf oder mehr Jahren gemacht, man hätte kaum über Politik gesprochen und mehr über die schönen Dinge im Leben. Aber morgen gehen wir erst Mal auf die Burg und essen ein Eis und ein Street Food aus Tanzania. Weil morgen ist Freitag, Zufall, und da kann man in Ljubljana ganz wunderbar auf Markt vor der Kathedrale St. Nikolai speisen und es läuft Musik und man teilt sich eine Bierbank mit ein paar Rentnern aus Österreich oder sonstwo her.

Und so geht es natürlich auch.

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In Kärnten, Pressegger See, Hermagor, esse ich ein okayes Schnitzel im Camping-Platz-Restaurant. Der Platz, und noch einer, sowie diverse Pensionen gehören einer gewissen Familie Schluga. Die kontrolliert hier das Business, stellen wir uns vor, die bestimmt, wer Bürgermeister wird und wo die Umgehungsstraße gebaut wird. H. isst eine kleine Pizza.

Und will dann mit Karte zahlen, weil sie mit Zahlen dran ist, aber der Kellner, ein Österreicher, der ganz genau weiß, wie österreichisch er ist, struppig, hehe-grinsend, der Kunde is König am Oasch, sagt: Mit Koadn geht jetz nemma. Weil er ein fauler Depp ist. Und H. soll sich halt erkenntlich zeigen, wenn ich jetzt zahle, weil Frauen seien doch kreativ, hehe, zwinker, zwinker und guade Nocht noch.

Man kennt ja auch nette Österreicher und das Land ist toll schön und die Hauptstadt, jaja, aber in seiner Gesamtheit doch: Zum Vergessen. Provinzielle Selbstvergessenheit als Markenkern, Besäufnis an der eigenen Unzulänglichkeit, Sebastian Kurz.

Im Soca-Tal, Bovec, beziehen wir einen von mehreren wie die Perlen an der Kette aufgereihten Camping-Plätze. Vorsaison, quasi nix los. Am Abend bringe ich ein mickriges Lagerfeuer zustande, aber immerhin. Am Tag wollen wir zu einer Burg und in eine Schlucht, laufen dann am komplett in die falsche Richtung, vorbei an Kühen und Schafen und in ein Dorf, in dem es nichts weiter gibt, außer einer Terrasse mit eindrucksvoller Kakteen-Sammlung. Ein von pickenden Hühnern umringter Mann grüßt freundlich. Man grüßt immer so mit Geräuschen, weil man weder weiß, ob der Gegenüber einen versteht, noch sich erinnern kann, wie Guten Tag auf slowenisch heißt, wenn es drauf ankommt. Also lieber hastig schief grinsen und ein: Mhhjjjellog rausmurmeln. Geht immer.

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Wir versuchen die Wanderung zu retten, indem wir einen Rundweg draus machen. Dazu müssen wir hier nur kurz auf die Serpentinen-Landstraße, gefährlich, aber dann irgendwie rechts weg und dann gibt das so eine Art Schlaufe. Sagt Google Maps. Wir finden die Abzweigung und dann ist es erst sehr schön Urwald-mäßig und dann ist der Weg weg, klar. Nicht schon wieder so eine Scheiße, sage ich, in Kärnten war es genauso. Da steht man dann im hüfthohen Gras und hat keine Ahnung und Angst vor Zecken und Kühen, in deren Revier man gerade eingedrungen ist.

Aber dann war’s doch halb so wild. In Bovec gibt’s eine hippe Brauerei und ein alter Slowene empfiehlt mir was, ich bestelle aber was anderes. Mit neuseeländischem Hopfen. So.

Und letztlich, bevor wir dieses ungelogen wunderbare Land verlassen, Otocec. Auf einer Insel auf der Krka steht das Wasserschloss. Ich denke: Burgen und Schlösser, da dachte man früher immer, wow, toll besonders. Heute merkt man, egal, wo man hinkommt, alle zehn Meter haben irgendwelche Habsburger oder Windischeschenbacher oder man weiß es nicht mehr so genau irgendwelche Wasserschlösser in die Landschaft gekackt. Das Teil hier stammt sogar aus dem 13. Jahrhundert, als sich irgendjemand so wichtig und bedeutend gefühlt hat, um in genau diesem letzten Winkel der Welt etwas Monumentales zu hinterlassen.

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Was das damals bedeutete, kann man kaum sagen. Heute bedeutet es, dass da ein Fünfsternehotel ist und ein slowenischer Boy hat den undankbaren Job, den ganzen Tag über in einer unbequemen Uniform vorm Tor zu warten. Am Ufer, schräg gegenüber, also wirklich zwei, drei große Schritte entfernt, gibt es einen winzigen, komplett Komfort-freien Camping-Platz. Zehner die Nacht.

Wir stellen den Kangoo so, dass wir mit Blick auf das grün sprudelnde Wasser aufwachen. Ein slowakisches Pärchen stellt ihr Zelt so, dass sie direkt neben sowohl Mülltonnen und Toiletten aufwachen. Jeder wie er mag. Wenig später trägt sie ein Abendkleid und er einen Anzug und sie bitten uns um einen Stift, um noch was auf ihre Karte zu schreiben… Im Schloss wird heute Hochzeit gefeiert und das Paar spaziert, angeführt von so einer Art Prinz oder so, durch die bescheidende Parkanlage.

Am Abend bekommen wir noch Besuch von zwei slowenischen Jungs, ein dicker und ein dünner, die beide recht verschoben aussehen, als wären ihre Gesichtsknochen einmal wild durchgewürfelt worden. Sie fragen nach Zigaretten und machen mit Händen und Füßen darauf aufmerksam, dass die Sonne heute heiß ist. Dann zeigt der Dicke noch eine Art Geschwür an einem seiner Finger und schon sind sie wieder fort. Nett.

Zuletzt besucht uns, und wir dachten, hier herrscht abgeschiedene Ruhe, der Strudelmann. Der zerrt blecheweise Kirschsstrudel aus seinem Kofferraum und hält uns sofort ein Stück unter die Nase: Probieren! Stichprobe machen! Strudel! H. sagt, danke und das sei ja sehr lieb, aber sie habe eben erst gegessen. Stück zwei Euro!, sagt der Strudelmann. Danke nein, sagt H., aber ich suche schon nach dem Geldbeutel. Sehen die Farbe!, sagt der Strudelmann, alles natural! Wie viel Stück? Ich habe kein Kleingeld, H. schon. Eines, sage ich. Mehr!, sagt der Strudelmann, wieviel? Zwei Stück? Morgen essen! Eines reicht, sagen wir und dann sagen wir es noch ein paar mal und der Strudelmann freut sich und sagt: Kann nur wenig Deutsch aber guten Appetit und eine schöne Reise.

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stefan mesch

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