Archiv für den Monat Januar 2016

David Bowie, ich fand dich supergut

Muss man im Januar 2016 noch einen Text hinzufügen zur Masse an Texten über Bowie? Wer braucht mehr als einen Nachruf? Und wer maßt sich das überhaupt an?

Ich zum Beispiel weiß nicht viel, über das Werk von David Bowie. Und bin sein größter Fan. Bowie begleitet mich erst seit wenigen Jahren. Er übt dabei eine stärkere Faszination aus als sozusagen jeder andere Künstler. Jetzt ist er tot und das stellt etwas an, das weniger mit ihm als mit mir zu tun hat.

Seit ein paar Jahren sterben sie alle weg. Die Maßgeblichen einer Generation, die das größte Phänomen der modernen Menschheitsgeschichte geprägt und erfunden haben, den Pop. Eine Kategorie, die gar keine Kategorie mehr ist, sondern das Eigentliche.

Lemmy ist tot. Das ist sehr schade. Den habe ich wenigstens noch live gesehen. Lou Reed ist tot. Udo Jürgens ist auch tot. Auch schade. Der Tot von David Bowie ist der erste, in dieser dichten Reihe an Abschieden, der mir tatsächlich etwas bedeutet. Auf einmal verbietet sich Ironie und Achselzucken von selbst. Das ist auch unangenehm.

Dabei ist es keine vier Jahre her, dass ich nur „Let’s Dance“ und „China Girl“ kannte und davon ausging, David Bowie, das ist Mist. So ist man manchmal, auch aus Prinzip. Jahrelang habe ich mich aus Prinzip den Beatles verschlossen. Einfach so. Als wäre die Beatles nicht gut zu finden, Teil meiner Identität. Das beschämt mich. Ich weiß nicht, was der Anlass war, mich dann eben doch mit Bowie auseinanderzusetzen. Aber ich weiß, dass es in Hildesheim war, Fenster zum Garten, Insekten im Hochbett, Doppelpärchen-WG. Ich erntete Unverständnis. Jetzt auf einmal ist Bowie der Gott des Feuilletons und der Masse. Zu Lebzeiten war sein Ruf gar nicht mal so gut. Das ist das, was die 80er mit vielen Großen angestellt haben.

Wie gesagt, ich weiß nicht viel über Bowie. Ich kenne nicht jedes Album. Aber in Ziggy Stardust habe ich mich verkrallt wie ein Kind, das den Klammerreflex kennenlernt. Es ist das perfekte Album. Es gibt kein anderes, das so sehr gespickt ist mit Hits, die sich niemals abnutzen, das so sehr gleichermaßen hoch anspruchsvoll und Mainstream ist, das so rund ist und trotzdem kantig, so ausufernd, dramatisch, ein Konzeptalbum im besten Sinne und bescheiden in der Produktion, nicht überfrachtet aber ausgewogen. Man kann über Ziggy Stardust nicht schreiben.

Ich gehe zum DJ der Kapuzinerklause und wünsche mir Starman. Die Gitarre windet sich in albernen Schleifen, Bowies Stimme überschlägt sich fast pubertär. La, la, la, la, la. Eine Hymne wie aus dem Leierkasten. Ein dreckiger, kleiner Popsong mit orchestralem Potential. Ein todernstes Kinderlied. Besser geht nicht. Die Kapuzinerklause gibt es ja auch nicht mehr.

Wir sitzen auf der Terrasse unseres Zeltplatzes in Furnas, Azoren. Es stehen zwei Zelte auf diesen Wiesen. Der Ort dampft und riecht nach Schwefel, wir bekommen Besuch von einem weiß-braun-schwarzen Straßenköter. Es regnet oft. Ich schneide mir eine portugiesische Wurst in den vegetarischen Eintopf. Wir sind mitten im Atlantik und außer uns macht hier niemand Urlaub. David Bowie nölt aus den beschissenen Reiseboxen. Press your space face close to mine, love / Freak out in a moonage daydream, oh yeah.

Den Großteil der Musik, die ich höre, suche ich mir über Spotify zusammen. Ich suche wie ein Junkie des Neuen nach Alben, die ich noch nicht kenne. Ich ordne ein und bewerte, was ich höre. Ich finde vieles großartig und höre das meiste nie wieder. Künstler, zu denen ich zurückkehre, gibt es wenige. Chad VanGaalen, Ryan Adams, The Growlers. Jack White eh. Cohen, Bowie.

Und auch wenn es sich kitschig und abgenutzt anhören mag: Die Songs, die man in regelmäßigen Abständen braucht, die Alben, die man nicht nur hört, sondern kennt, die Künstler, zu denen man zurückkehrt, sind die, die nicht nur aus ihrer Musik bestehen, sondern vor allem aus dem, was sie für mich sind. Bowie hat mich zum richtigen Zeitpunkt in Hildesheim besucht und uns auf die Azoren begleitet und seine Musik war ein Gefäß für eine Zeit, die wichtig bleibt, und meine Erinnerungen daran. Sie hat sich mehr als ideal dafür geeignet, sie aufzuladen und zu überhöhen und ist ungeeignet dafür, sie tot zu analysieren. Diese Songs sind Stellvertreter und Botschaften aus einer der besten Zeiten. Ich weiß nicht, woran das liegt. Aber ich will, dass es das Genie Bowies war, dem es gelang, Musik zu schreiben, die genau so funktioniert.

Your face, your race, the way, that you talk / I kiss you, you’re beatiful, I want you to walk / We’ve got five years, stuck on my eyes / We’ve got five years, what a surprise

Mein Musikgeschmack hat sich in den vergangenen zehn Jahren etwa zwanzig Mal geändert, gewandelt, erweitert, wie auch immer. Es gibt keine Garantie für nix. Es gibt wenige Konstanten. The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars wird trotzdem immer das beste Album aller Zeiten bleiben. Wenn es das gibt. Wegen allem. Michelangelos David, die Mona Lisa, Beethovens Neunte, das White Album und Ziggy Stardust. Man muss das übertreiben und ins Maßlose übersteigern. Jetzt ist wirklich mal nicht nur ein Typ, der ein Instrument spielen konnte, gestorben, sondern ein Mythos, eine Idee, ein Modus oder Prinzip, mit Gegenwart umzugehen.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich feststellen musste, dass die Fußballprofis im Fernsehen, so langsam in mein Alter kamen. Beziehungsweise, ich in das Alter der Fußballprofis. Das machte mich neidisch. Warum saß ich hier daheim auf dem Sofa meiner Eltern und musste am Montag wieder in die Schule, um danach irgendwas zu werden, während die Typen aus meinem Jahrgang… Das legte sich dann wieder. Neulich entdeckte ich die Homepage, auf der man nachschlagen kann, was Bowie in welchem Alter erledigt, erreicht, durchlebt hat. „He put the finishing touch to the look of his character Ziggy Stardust and released his 5th studio album The Rise and Fall of…” Mit 25 ein Meisterwerk, danach das, was in diesen Tagen so häufig und überall wiederholt wird. Chamäleon, Stilikone, Hits, Hits, Hits. Ich mag auch The Man Who Sold the World und Heroes und The Next Day und anderes. Aber Ziggy Stardust ist halt Ziggy Stardust.

Sobald ein bedeutender Mensch stirbt, wünscht man sich, dass es den Himmel doch irgendwie gibt. Gar nicht für sich selbst, nur für den Mythos eines anderen. Damit das nicht aufhört. Fan oder Bewunderer sein, ist ja schon auch mehr Symptom als Zustand. Man wünscht sich, dass es da oben Bläser und Geiger gibt, die die Coda von Rock’n’Roll Suicide lange genug einstudiert haben, um dem Mann jetzt einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Wonderful.

Hört auf euch zu streiten, hört David Bowie.

Bowie

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stefan mesch

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