Herzlich Willkommen in unserer neuen Superkategorie SYNCHRON. Wöchentlich erscheinen zwei Beiträge zu einem Thema, auch Gastautoren sind gerne gesehen. In dieser Ausgabe lautet das Thema: GERUCH/GESTANK
KATEGORIE A: ANDREAS THAMM ÜBER GERUCH
Es ist weniger lange her, als ich es gern hätte, dass ich noch mit heiligem Ernst Gedichte schrieb, mit Sprache und Verdichtung und so, schreckliches Zeug. Heute ist mir das zu blöd und ich möchte niemand etwas vormachen, das heißt, ich will mir selbst nix vormachen. Solange ich es vermag einer Jury etwas vorzumachen, ist alles okay. Ich will davon ausgehen, dass das die meisten Lyriker, die keine Pfauen sind, heutzutage so handhaben. Aber manchmal funkt etwas in meinem Gehirn und es brizzelt und dann fällt mir das mit dem Geruch von Neuwagen ein, der über der Stadt schwebt oder hängt, oder so. Das war ein Vers. Hab ich selbst gemacht. Und das war stark. So stark, dass ich da manchmal dran denken muss, Geruch von Neuwagen, über der Stadt, Wahnsinnszeug. Vielleicht hat das aber auch nur mit meiner persönlichen Vorliebe zu tun. Am besten ist immer, wenn Papa ein neues Auto hat. Das war sogar schon immer am besten. Das Zwickauer Unternehmen „Reima“ packt den Duft der „flüchtigen organischen Verbindungen, die aus verbauten Materialien verdampfen“ seit 2000 erfolgreich in Dosen. Neuwagenduft für daheim und jede Gelegenheit, für olle Gebrauchtwagen und untern Arm. Dabei ist dieser Neuwagenduft sozusagen nur ein Nebenprodukt der Automobilherstellung und vom Hersteller im Regelfall gar nicht erwünscht. Der Kunde freut sich im Regelfall trotzdem ein Auto zu erstehen, dass neu riecht und er freut sich jedes Mal festzustellen, dass er noch immer nicht gewichen ist, der Neuwagenduft. Wenn ich Psychologe wäre, würde ich die Theorie aufstellen, dass es nicht der Geruch an sich ist, der ein positives Gefühl auslöst, sondern seine Verknüpfung mit der Investition in etwas Hochwertiges. Ich selbst schnuppere noch manchmal an der Tastatur meines Laptops, beseelt von der stupiden Hoffnung, der Geruch von Neulaptop sei zurückgekehrt. Ist er aber nicht. Zwischen den Buchstaben türmen sich Essensreste. Vielleicht schreibe ich mal ein Gedicht darüber, wahrscheinlich aber nicht.
KATEGORIE B: JULI ÜBER: GESTANK
Gestank ist immer meine Oma, die in der Waschküche sitzt und ihre Taube rupft. Ein orangener Eimer, der neben ihren stattlichen Waden steht, ein alter Holzstuhl und ihre kleinen, runzligen Hände, die kurz zuvor der Taube einen Holzscheit auf den Schädel geschlagen haben. Meine Oma, wie sie die Taube in die Waschküche trägt, meine Oma, wie sie das Köpfchen der Taube an ihre rotgesprenkelte Schürze drückt, meine Oma, wie sie sich setzt, die Ärmel nach hinten krempelt, die Taube auf ihrem dicken Bauch ablegt und zu rupfen beginnt. Die Hände meiner Oma, die eine Feder nach der anderen aus der Taube reißen, meine Oma, die dabei etwas erzählt, meine Oma, die die Taube überprüft, meine Oma, die mit ihrem Finger über die nackten, freiliegenden Poren dieser Taube fährt. So ungefähr: Meine Oma hebt die Taube gegen die Lampe und überprüft mit ihren blauen Augen, ob man sie jetzt in Ruhe einfrieren kann. Meine Oma, die die Taube wieder aus dem Gefrierschrank nimmt und etwas mit ihr macht. Ich bin zwischen sechs und zehn, zwischen einem Meter und eins zwanzig, die Taube liegt in der Soße und hier lerne ich Gestank.